Im Urlaub ist mir immer recht kreativ zumute... und Ihr dürft unter den Textergüssen leiden. Ich hoffe, ihr habt Spaß mit meinen Erlebnissen rund ums Thema Sehnen und Tierarztrechnungen:
Herr Pferd ist krank. Er hat Bein.
Nachdem er schon vor einem Jahr beschloss, aus dem anstrengenden und wirklich nervenaufreibenden Leben eines unfitten und beinahe ungerittenen Freizeitpferdes mittels Riss des Unterstützungsbandes auszusteigen, fand er dann vor 2 Monaten, dass mir ein dauherhafter Teilzeitjob in der aktiven Pferdekrankenpflege wirklich nicht schlecht zu Gesicht stünde. EsKa 10/2012 Gesagt, getan, der schicke Sehnenschaden war schnell zugelegt und seitdem hat er BEIN (man verzeihe mir das virtuelle Geschrei beim Wort BEIN, aber in meinen Gedanken ist es neuerdings nur noch fett – also dick – und gesperrt gedruckt und wird mit kippender Stimme geschrien). Also eigentlich hat er VIERTEL-BEIN, denn es ist ja nur eines seiner BEINE beschädigt. Was gut ist, denn ein Kaltblut mit Vier-Viertel-Bein-Beschädigung wäre schlecht. Also für das Kaltblut. Nicht für den örtlich ansässigen Metzger, aber das ist eine andere Geschichte.
Somit steht nun das VIERTEL-BEIN (und der Rest des Kaltblutes) in einer geräumigen Box und erwartet jeden Tag Verlustigungen erster Kajüte und Bespassung durch das anwesende Personal. Welches in erster Linie aus mir besteht und in zweiter Linie aus den Stallkatzen, die man so herrlich in den Rücken zwicken kann. Die springen dann sogar mit recht annehmbarer Bascule aus dem Stand geschätzte 80 cm senkrecht nach oben. Was zwar nicht viel für ein Pferd, aber eine respektable Höhe für einen 10-jährigen arthritischen Stallkater ist.
Jeden Tag, so ungefähr ab 16:45 Uhr, lugt also das VIERTEL-BEIN (und das daran befestigte Kaltblut) wie ein gieriger griechischer EU-Beamter aus der Box heraus und kassiert Durchgangszoll in Form von Streicheleinheiten, Möhren und Aufmerksamkeitsbekundungen verbaler Art. Diese prasseln übrigens erstaunlicherweise meistens in Babysprache („Oh, wat bittu denn ein armi Hottehüh? Ja, watt matt datt Aua-Beinili denn? Ja wat hatta denn?!“) auf ihn ein. Keine Ahnung, warum diese fachmännischen Zustandsbekundungen immer auf Babylonisch geäußert werden. Denn schließlich ist Herr Pferd wenn schon nicht des Hochdeutschen, dann doch zumindest des Bayrischen durchaus mächtig und versteht kurze gezischte Satzgebilde wie „Hör auf damit, Salami-Vorrat!!“ bestens.
An seinen gerunzelten Nüstern, die sich übrigens beim Anhören der gebrabbelten Satzkonstrukte angewidert riffeln wie Sägezahnschwingungen auf einem Oszillographen, kann ich erkennen, dass er diese fundierten Aussagen zu seinem VIERTEL-BEIN wahrscheinlich gerne mit folgenden Worten beantworten würde:“ Danke für die rege Anteilnahme an der Entwicklung meines Krankheitsverlaufes.. Wie Sie an dem großflächigen Erguss im Bereich des Articulatio Carpi sowie des Os Metacarpale erkennen können, sind sowohl die tiefe Beugesehne als auch der Fesselträger partiell rupturiert. Eine hässliche Angelegenheit, wie Sie sicherlich nachvollziehen können. Aber ich sehe Ihnen an, dass ich mich mit ihnen darüber nur pseudo-wissenschaftlich austauschen kann... nun gut... Hattu Leckerlis???“ EsKa 10/2012 Spätestens am Ende dieses (von Seiten meines Pferdes natürlich stummen) Wortwechsels tauche ich auf und versuche die gierige Schnappschildkröte soweit in den hinteren Teil der Box zu drängen, dass ich hineinschlüpfen und DAS VIERTEL-BEIN bewundern kann. Man muss wissen, dass ich mittlerweile nicht mehr zu meinem kranken Pferd, sondern eher zum VIERTEL-BEIN fahre. Denn all meine Aufmerksamkeit sowie mein krankenpflegerisches Wirken gelten diesem stoppelig rasierten, geschwollenen Gebilde, welches mich jeden Tag mit diversen Zuständen zwischen zu heiß, zu kalt, zu dick oder (an ganz guten Tagen) gerne auch mal geschätzte 0,078 Pikometer dünner überrascht und fasziniert. Ich bin mittlerweile Expertin im Abschätzen von Röhrbeinumfängen und überlege momentan, ob ich dieses neue, wenn auch völlig unwillentlich erworbene, Wissen in der im Ruhrgebiet mannigfaltig vorhandenen Schwerindustrie zu Geld machen sollte. Vielleicht als Rohr-Innendurchmesser-Vermesserin. Oder als Fäkalabwasserleitungs-Schwellgrad-Beurteilerin. Irgendwie muss ich ja zu Geld kommen um die stetig hereinpolternden Tierarzt-Rechnungen zu begleichen.
Mittlerweile mache ich mir übrigens ein Spiel daraus, die frisch aus dem Briefkasten gezogenen, sich noch im fest verschlossenen Briefumschlag befindlichen, Rechnungen auf die Höhe der darin geforderten Lösegelder zu schätzen. Dummerweise bin ich darin erschreckend treffsicher geworden.
Meine Endbetrags-Schätzung erfolgt anhand der folgenden - wie ich herausgefunden habe - für die Höhe einer Rechnung absolut maßgeblichen Faktoren:
- Anzahl und Doppelnamigkeit der aufgedruckten Doktoren
- designerische Qualität und Farbgebung des Praxenlogos sowie
- Zentrierung der aufgeklebten Briefmarken in Relation zur Briefumschlag-Kante
Ich verrate jetzt einfach einmal hier in diesem exklusiven Kreis, was man aus diesen 3 Faktoren alles an Fakten und Hinweisen bezüglich der Endhöhe der Tierarzt-Rechnung herauslesen kann. Die Kunst der „Veterinäro-Finanzologie“ ist eine bizarre, aber höchst nützliche und sollte demnächst von jedem Pferdebesitzer zusammen mit dem kleinen Equiden-Einmaleins (Vorne beißt es, hinten tritt es, dazwischen ist es kuschelig – zumindest im Winter) verpflichtend erlernt werden.
Also fangen wir an! Nachfolgend die eingehendere Betrachtung der Faktoren und deren Relevanz:
Anzahl und Doppelnamigkeit der aufgedruckten Doktoren
Hier ist das ausgewogene Verhältnis zwischen der eigentlichen Anzahl der Doktoren sowie der Doppelnamigkeit der einzelnen Veterinäre wichtig. Prinzipiell gilt: Je mehr von beidem (also Doktoren und Doppelnamen) vorhanden, desto gehaltvoller die Forderung. Ich gebe hier mal eine ungefähre Einschätzung für die beiden Enden dieser Skala ab:
Gut (sprich Rechnung befindet sich noch im unteren dreistelligen Bereich trotz Röntgen, Sedierung und einem verstauchten Doktorenfinger weil der Gaul wieder vor dem Gerät scheute): Ein Doktor, männlich, mit Doppelnamen.
Spricht für eine Praxis mit einem Flower-Power-Endachtundsechziger Liberaldoktor, der ein zu weiches Herz hatte, die Doppelnamenforderung seiner feministischen Frau abzulehnen und deshalb auch Verständnis für alleinstehende PferdePfrauen hat, deren Konto – bildlich gesprochen – schon mehrere Jahre kontinuierlich durch den letzten Bodensatz des Dispokredites robbt.
Schlecht: Vier Doktoren, einer männlich ohne Doppelnamen, 3 weiblich (wovon zwei mit und eine ohne Doppelnamen).
Die Rechnung liegt bei gleicher Leistung mindestens im mittleren vierstelligen Bereich. Die Erklärung für den Unterschied in der Forderung liegt auf der Hand. Der männliche Veterinär muss schließlich die Herde Veterinär-Stuten bezahlen (wenn auch schlecht) sowie genug Geld für die aus den diversen Verhältnissen entstandenen unehelichen Sprosse aufbringen. Und um die 17-jährige Auszubildende mit schicken Essenseinladungen zu beeindrucken, damit er endlich auch dort zum Zuge kommt.
Design und Farbgebung des Praxenlogos EsKa 10/2012 Auch hier nur als Anhaltspunkte die Enden der Bewertungsskala:
Gut: Kein Logo, Anschrift wurde mit Schreibmaschine Adler Gabriele 35 in das dünne Papier gestanzt. Dieses „Non-Design“ spricht für einen alten Landtierarzt mit einer tattrigen, kurz vor der Verrentung stehenden, Tierarzthelferin. Maximale Höhe der Rechnung: oberer zweistelliger Bereich, da er Ultraschall für neumodischen Krams hält und durch Blisterung der Sehnen schon im ersten Weltkrieg jeden Gaul wieder als geheilt in die Schützengräben entlassen hat.
Schlecht: Dezentes Drucklogo (schiefergrau oder indigo wegen des kühlen Understatements) inklusive einer schlecht stilisierten Pferdegliedmaße. Alleine der Gedanke an die laufenden Ratenzahlungen für das von einem 30-köpfigen Designerteams in einer trendy Loftetage entwickelten Logos lässt den Praxen-Inhaber noch heute in konvulsivische Krämpfe verfallen.
Und last but not least, der eigentlich wichtigste, weil aussagefähigste Faktor für die Bewertung von Tierarzt-Rechnungen:
Die Briefmarke (und deren Zentrierung)
Dieser Faktor wird von vielen unerfahrenen Reitern völlig unterschätzt. Dabei ist es DER Hinweis, der schon alles über die Chance auf eine möglicherweise demnächst anstehende Privatinsolvenz des Pferdeinhabers aussagt.
Leider liegt hier der Fall nicht ganz so einfach, wie in den oberen Punkten, die auch von Rechnungslaien schon nach wenigen Mahnungen sicher beurteilt werden können. Hängt doch die relative Schiefe der Briefmarke von mannigfaltigen Faktoren ab, die nur ein Connaisseur der Veterinär-Zunft in allen ihren subtilen Feinheiten wertschätzen und erkennen kann.
Untenstehend ein kurzer Auszug der gängigsten Fälle von Briefmarkenschiefkleberei auf Tierarztrechnungen (und deren Ursachen). Der betroffene Laie möge sich im Selbststudium gerne tiefer in das Gebiet einarbeiten – hier würde es den Rahmen sprengen.
Briefmarke befindet sich im Winkel von ca. 20 Grad zur oberen Briefkante: Mittelwert, die Rechnung beträgt nicht mehr als 340,-- € (ja, auch für eine Kolik-OP!). Die etwas schlampig aufgeklebte Marke verrät, dass die Erregung über die Höhe der zu erwartenden Einnahmen nicht aussreichte, die Hand des Aufklebenden zittrig vor Vorfreude werden zu lassen.
Briefmarke befindet sich parallel zur oberen Briefkante: Wunderbar! Der Pferdebesitzer kommt mit einem Maximalbetrag von 35,67€ davon. Der Rechnungsbetrag ist damit so dermaßen langweilig, dass selbst die nachpubertierende Aushilfe das millimetergenaue Aufkleben von Briefmarken erregender findet, als den Inhalt des Umschlages.
Wellige Briefmarke befindet sich beinahe mittig in einer Winkelung von über 59 Grad zur oberen Briefkante auf dem Umschlag.(Was übrigens der Winkelung des erregt zuckenden rechten Ohres von Totilas bei einer durchlittenen Dressurprüfung entspricht → siehe auch: College of useless knowledge Band 73). Diese Briefmarkenposition ist tödlich für den Pferdehalter! Die Rechnung fällt ungefähr so hoch aus, wie die Gewinnsumme beim Eurolotto am nächsten Samstag! Hier empfiehlt sich die baldige überstürzte Ausreise in nekrotische EU-Länder wie Griechenland oder Irland, oder wahlweise in eine der diversen schicken Militärmonarchien Südamerikas.
Erklärung für die Position der Briefmarke: Offensichtlich hatte der Veterinär aufgrund der exorbitanten Forderungssumme beim Aufkleben der Briefmarke einen hysterischen Lachanfall und konnte nur mit Mühe den vergossenen Inhalt der feierlich zur Rechnungsverschließung geöffneten Methusalem-Flasche Moet et Chandon wieder von der Briefmarke lecken.EsKa 10/2012
Doch an dieser Stelle muss ich meinen kleinen Exkurs in die Wunderwelt der Tierarzt-Rechnungen vorerst beenden. Das VIERTEL-BEIN schreit nach Aufmerksamkeit. Schließlich ist es der Ansicht, dass das Demontieren von Bandagen (mit anschließender feierlicher Zerlegung in deren atomare Bestandteile) nun fester Teil seiner Unterhaltung auf dem Krankenlager ist.
Daher eile ich nun (mitsamt meiner neuen lasergesteuerten Selbstschußanlage zum Schutz der wehrloser Baumwoll-Bandagen) zum Stall. Über sachdienliche Hinweise für die fachmännische Befestigung derselben an einem dicken kranken Kaltblut-VIERTEL-BEIN wäre ich übrigens recht dankbar. Das Resultat des Heißkleber-Experimentes ließ doch sehr zu wünschen übrig! EsKa 10/2012
_________________ La vie e dure sans confiture!
|