Könnte sein, dass das hier etwas länger wird.
Bei uns hat am Wochenende das 2. Mal in diesem Jahr ein Lehrgang mit einem S-Reiter hier aus der Gegend stattgefunden. Wir haben nicht zuviele davon, man spricht also mit einer gewissen Hochachtung von ihm, und dass er ja auch schon viele Pferde selbst bis dorthin ausgebildet hätte. Im Unterricht würde er sich ja immer jedem Pferd ganz individuell anpassen. Das mag für viele Qualifikation genug sein. Entsprechend hoch war die begeisterte Resonanz auf eine Teilnahme, und die ganze halbwegs leistungsorientierte Garnitur unserer A- und L- Reiter war dabei.
Ich selber hatte dankend verzichtet, da mein Pferd und ich beim letzten Mal mit seinem Stil nicht so zurecht kamen und dies für unsere weitere Arbeit eher kontraproduktiv war. Am Sonntag habe ich mir dann mal zweieinhalb Abteilungen zu Gemüte geführt und bin mal wieder bis ins Mark erschüttert.
- spannige und dauer-Schweif-kreiselnde Pferde
- massiver Sporen-Dauereinsatz
- verbissen und somit völlig blockiert sitzende Reiter
- vierjährige Pferde, die auf 8 oder 10m Volten solange "gebogen" werden, bis sie endlich "nachgeben"
- produzierte Passgänger
- "versammelter" Galopp mit parallel hinterherhoppelnden Hinterbeinen
- Versammlungs- oder was-auch-immer Übungen im Trab mit unterstützender Touchierpeitsche, was dazu führte, dass das traktierte Pferd nur noch widersätzlich auskeilte oder nach vorne losschoß
Dazu die hocherfreuten Kommentare einiger Teilnehmer:
- so heftig musste ich lange nicht arbeiten
- Wow, endlich hatte ich mal richtig Druck auf der Hand, mir tun voll die Schultern weh von gestern
- so viel Ausdruck hatte mein Pferd ja noch nie
Dieser Ausdruck wurde bei allen (so viel zum Thema Individuell) mit viel Festhalten vorne und noch mehr Sporeneinsatz hinten erkauft. Hand vor, nachgeben, schlichtes Reiten am äußeren Zügel gabs nicht, dafür viel Druck von hinten und allseits das beliebte "Du musst den da auch mal richtig durchdrücken". Das war sowieso die beliebteste Aussage von allen... Für die Pferde gabs keine Pause zwischendurch, mal eine Runde in Dehnungshaltung oder 2 Minuten Schritt am langen Zügel - Fehlanzeige.
Abschlusskommentar der Organisatorin, die immerhin schon ein-/zweimal eine M geritten ist: Wenn du Leistungssport betreiben willst kannst du nicht immer auf dieser Kooperationsschiene reiten, dann fehlt der Ausdruck und die positive Spannung, und so brauchst du nicht aufs Turnier.
Gut, ich als Fahrer bin eben auf die Kooperation meines Pferdes angewiesen, weil ich nicht die Möglichkeit habe, ihn mir vor dem Wagen so zwischen die "Hilfen" zu klemmen. Deshalb kommt diese Art Reiterei für mich nicht in Frage.
Was mich mehr erschüttert, sprechen wir bei A- bis M-Reitern, die sich auf ländlichen Turnieren präsentieren, von Leistungssportlern? Muss bereits auf diesem Niveau jedes Mittel recht sein? Verstehe ich, für die Dressurreiterei nur der Mittel zum Zweck ist, nämlich Ziel Durchlässigkeit, diese Sparte völlig falsch? Wieweit ist solide, ehrliche Grundausbildung möglich, wenn man auch nur auf regionaler Ebene was abbekommen will? Oder geht es gar nicht anders?
Ich würde mich freuen, wenn hier mal diejenigen Kommentare abgeben, die auch in höheren Klassen unterwegs sind. Wieviel Druck muss sein? Oder gehts auf dem reellen Weg? Oder ist das gar der Falsche? Entwickeln sich Ausdruck und positive Spannung mit weiterer Ausbildung oder muss der Reiter von Anfang an Spannung provozieren? Wie wird es wirklich gehandhabt, oder ist das, was ich am Wochenende gesehen habe die Normalität und ich bin nur ein verblendeter Träumer?
Mit meinem letzten Pferd bin ich im vergangenen Jahr auch noch M gefahren, und ich stehe dazu, dass ich sie vor der Einfahrt ins Viereck auch bewusst aufmerksam und ein bisschen elektrisch gemacht habe, damit sie dann auch Ausstrahlung hat. Das war in meinen Augen immer im Rahmen und basierte auf einer an der SdA angelehnten Ausbildung. Die grundsätzliche Durchlässigkeit war ja da, es gab keine Spannigkeit oder Schwebetritte oder irgendeine Form des sichtbaren Unwohlseins oder Widerstands. Und solange ich in A gefahren bin, habe ich sowas auch nie gemacht, weil mir mein Pferd da noch nicht weit genug und gefestigt erschien, um auch mal die Grenze anzukitzeln.
Und vielleicht mögen sich auch mal die Buschis unter uns melden. Ihr müsst ja auch vielseitiger trainieren, ist diese Form des Dressurreitens bei euch verbreitet oder seid ihr auch eher auf der "Kooperationsschiene" (ich fange an dies Wort zu lieben

). Riskiert man bei zuviel Druck, dass einen der Partner im Parcours oder Gelände hängen lässt - und ist das der Grund, warum VS-Dressuraufgaben so ganz anders konzipiert sind als die für die reine Sparte?
Freue mich auf eine interessante Diskussion.